Knautschradio

Töne aus dem Beutel

England 1981. Es ist das Jahr, in dem Maggie Thatcher englische Premierministerin und Ronald Reagan US-Präsident wurden. 300.000 bummelten für den Frieden durch Bonn. Disco und Punk schieden die Geister. In London stellte Vivienne Westwood die Modewelt auf den Kopf. Auch im Design brodelte es mächtig. Dass in diesem Jahr Marcel Breuer starb, der Erfinder der Stahlrohrästhetik und führender Kopf des Bauhaus-Designs, kann kein Zufall sein. So blieb ihm jene Veranstaltung erspart, die eine Gruppe namens Memphis am Rande der Mailänder Möbelmesse inszenierte.

Mit ihren grellen Stuhl- und Regalkreationen fegten die Aufständler nämlich genau jene Gestaltungsregeln hinweg, die man seit dem Bauhaus eigentlich für ewig hielt. 1981 war auch das Jahr, in dem der junge, in London lebende Designer Daniel Weil – ein gebürtiger Argentinier – sein Bag Radio entwarf: ein tragbarer Rundfunkempfänger, der mit so ziemlich sämtlichen bis dahin gültigen Konventionen seiner Gattung brach.

Durch Verzicht auf ein festes Gehäuse schuf er einen völlig neuen Produkttyp. Außerdem zeigte er schon damals, dass „form follows funktion“, die sacrosante Losung der Designväter, in der digitalen Welt kaum noch Sinn macht. Die Experten applaudierten und Weils Innovation fehlt seitdem in keiner britischen Designgeschichte. Der Rebell hatte es geschafft, gleich einen ganzen Strauß progessiver Strömungen in seinem Entwurf zu bündeln: Das in einen transparenten Plastiksack eingeschweißte Transistorgerät knüpft mit seinem Anarcholook an die Punkästhetik jener Jahre an. Weder die Konstruktion noch die Bedienungselemente folgen irgendeinem offensichtlichen System. Die Elemente purzeln wie in einer Einkaufstüte durcheinander. So ist es das glatte Gegenteil von einem ordentlichen deutschen Braun-Radio, auf dem die Knöpfe zur Freude der Designpuristen stets stramm Spalier stehen.

Dass der Einwanderer Weil auch mit Memphis eine Liaison einging, verwundert kaum. Gehörte er mit seinem Knautschradio doch auch zu den Pionieren des Spaßdesigns, bei dem den eingefleischten Funktionalisten derselbe regelmäßig vergeht. Wobei sie allerdings übersehen, dass der tönende Beutel seiner Zeit in mancher Hinsicht voraus war. Transparenz ist, genauso wie weiche Oberflächen, inzwischen Mainstream. Zudem war das Bag Radio, das man in jede Hosentasche stopfen könnte (wenn es denn erhältlich wäre), auch ein Beitrag zur mobilen Kommunikation. Sozusagen eine Fortentwicklung des Walkmans mit subversiven Mitteln. Weil, seit einigen Jahren Mitarbeiter des renommierten Londoner Designstudios Pentagram, für das er so unterschiedliche Dinge wie Logos, Plattencover und Schuhkartons entwarf, zählt heute zu den Stars in der an großen Namen gewiß nicht armen britischen Designszene. Der Alleskönner reüssierte schließlich auch im Ladendesign, einer besonderen britischen Stärke. Sein Bag Radio , das ihm einiges Renommee verschaffte, blieb ein Experiment. Von der plärrenden Wuntertüte, die so aussieht, als hätte sie gerade ein japanischer Elektonikkornzern als allerneuesten Teeniehit auf den Markt geworfen, wurden insgesamt nur ganze zehn (!) Exemplare hergestellt. Und die verstauben leider in den Archiven dieverser Designmuseen. So bleibt auch die Empfangs- und Tonqualität leider im Geheimen.

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