Akut Dämlicher Auto Crash

michael-ramstetter-webDereinst hatte ich den Vorzug, den Ex-Bunte-Journalisten Michael Ramstätter kennenzulernen (der ließ mich sogar nach München einfliegen, als das Flugzeug gerade erst erfunden war). Er war eben damals schon verdammt wichtig und ähnlich unverzichtbar ist wie zum Beispiel Dieter Hoeness. Deshalb machte er sich seine Spielregeln eben auch einfach selber: und hat jahrelang Zahlen für den ADAC gefälscht. Das ist nichts sonderlich Neues in der Republik der matt gelackten Oberhemdhelden und wehrhaft Wertelosen.

Hoch lebe der Club der Autoisten! Rehabilitiert Ramstätter! Boykottiert den Akut Dämlichen Auto Crash!photocaseadac200114

Erinnern wir uns: Ein deutscher Autofahrer, der, wie ich, gleich nach dem Abitur seinen Führerschein macht und sich dann bis ins Greisenalter ans Lenkrad klammert, umrundet selbst bei durchschnittlicher Fahrleistung ein dutzend mal und mehr den Erdball. Was der rollende Mensch, auch wenn er meistens nur zwischen Schwieberdingen und Stuttgart pendelt, da nicht alles sieht – und denkt! Denn das am Straßenrand vorüberrauschende Realtheater, animiert, wie wir wissen, in unterschiedlichster Weise die Aktivität unter der Schädeldecke. Wodurch wiederum die Hormone kochen. Dieser psychophysische Ausnahmezustand wird noch verstärkt durch die minimalistische Sinfonie des Motors sowie die ständigen Beschleunigungs- und Bremsvorgänge, die ja schon rein physisch das Hirn in Schwung bringen.

Und dann muss unbedingt zumindest noch kurz darauf hingewiesen werden: Unsere meistbenutzte und -geliebte (!) Bewegungshilfe, die also auch als Gehirnschaukel fungiert, ist natürlich zugleich ein von innen gepolsterter Stahluterus, in dessen wohliger, gleichbleibender Temperatur wir uns, hermetisch abgeschirmt von all der Bosheit da draußen, einfach so bequem wie bei Muttern fühlen. Auch dass der gemeine Autofahrer gewöhnlich alleine fährt, erscheint da plötzlich in völlig neuem Licht. Dass aber diese hoch emotionale und kontemplative, ja meditative Extremsituation bisher weder von der Hirnforschung seziert noch von der New-Age-Szene als medidativer Supertripp gehypt wurde, ist eigentlich unfassbar.

Viele Welträtsel unserer modernen Zeit blieben so ungelöst. Leuchtet auf diesem Hintergrund doch etwa sofort ein, warum das Automekka Amerika, wo beingestützte Selbstbewegung weitgehend abgeschafft ist, trotz seines sprichwörtlich miesen Bildungssystems die meisten Nobelpreisträger hat. Und von dort kommt schließlich auch das Roadmovie. Wie auch der Roman „On the Road“, praktisch die Betriebsanleitung für autoistische Welterkenntnis. Und die soll jetzt endlich mal benutzt werden.

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Ein Fundament meines autoistischen Weltbildes ist die Liebe zum Renault R4, einem frankophilen Gefährt, auf dem ich einst fahren lernte. So wird es auch zur Reise in die Vergangenheit, die ja nicht nur die eigene ist. Dahinter steckt mehr als Nostalgie. Der R4 war nämlich noch kein Uterus, sondern – im Gegenteil – ein Vehikel zur Neugeburt, in dem man den Spießerkonventionen entkam und heute vielleicht immer noch entkommt. In dem spartanischen Gefährt steckt auch Sehnsucht nach dem einfachen Leben. Schon weil er kubisch und praktisch ist, war er auch eine Hommage an das Bauhaus (ein Motortausch dauerte höchsten eine Stunde). In den frühen Modellen saß man auf Stahlrohrsitzen! Aber natürlich war der französische Exportschlager auch ein Transportmittel all der längst zerplatzten Hippieträume, inklusive eigenhändig aufgepinseltem Peace-Zeichen (1968 war er sieben Jahre alt). Wenn ich also heute in diese Inkarnation des „Weniger ist mehr“ einsteige, ist das nicht nur ein nostalgischer Spaß, sondern auch eine Provokation gegen das Überhandnehmen des Schwergewichtigen und Spielregelverderber auf unseren Straßen und gegen das fette Leben überhaupt. All diese Ramstätters eben.

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Natürlich ist es im R4 auch zugig, laut und gefährlich. Aber gerade deshalb ist diese motorisierte Blechbüchse auch ein Hingucker. Man kommt ins Gespäch über diese Essenz des Autos: die übrigens Jean-Paul Sartre angeblich im völlig verrauchten Hinterzimmer eines Pariser Jazzkellers zusammen mit Albert Camus bei einer Flasche Pernod ausgeheckt haben soll. Kein Wunder, dass der existentialistische Archetyp heute dominierende Autotypen , wie Van oder Crossover (Heckklappe!), um Jahrzehnte vorwegnahm. Was seltsamerweise weder Guido Knopp und nicht mal „Auto-Bild“ geschnallt haben. Aber der ich weiß es. Auf solch bahnbrechende Erkenntnisse stieß ich nämlich auf ebenso ausgedehnten wie gefährlichen literarischen Expeditionen, auf denen ich immer wieder, die großenteils dusteren Tiefen und Seitengalaxien des Autokosmos durchforschte – und zwar schon in meinem ersten (Tankstellen 1982) wie auch in meinen jüngsten Büchern (Autodesign international 2010, Kann man darauf auch sitzen 2011).

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Noch eine Nachricht: „So viel Treibhausgas wie nie zuvor“, meldeten unisono die Presse­agenturen. Das US-Energieministerium (sic, die müssen es schließlich wissen!) hat artig mitgeteilt, im vergangenen Jahr sei das nette Sümmchen von „33.500 Millionen Tonnen CO2 in die Atmosphäre gelangt“. Weltrekord! Man geht davon aus, nicht unerhebliche Mengen davon sind durch ein relativ dünnes Rohr am hinteren Ende der Kraftfahrzeuge entwischt. Und obwohl wir, wie sattsam bekannt, unseren schönen blauen Planeten auf diese Weise selbst mit Karacho gegen die Klimawand fahren, hat es noch niemand vermocht, dieses klitzekleine Loch zu verstopfen. Dieser wahrlich mysteriöse Unterlassungsvorgang, der mit einer gewaltigen Verdrän­gungsleistung einhergeht – die ja wiederum permanente Verbrennungs­vorgänge im Gehirn aller Beteiligten bedingt (eine zusätzliche Energie­vergeudung, die noch gar nicht begriffen ist) -, gehört zu der großen Zahl ungelöster automobilistischer Rätsel, auf die nun endlich die gleißend-unbestechlichen LED-Scheinwerfer gerichtet werden. Da wird dann nebenbei auch endlich mal geklärt, warum es in Amerika eigentlich mehr Bestseller über den Porsche 911 gibt als über Marilyn Monroe.    bp

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