Wie schön, dass es sie noch gibt

Künstliche Linie mit „V“.  (Quelle Galeria Kaufhof)

Ja, es gibt sie noch, die schönen Dinge von früher, wie zum Beispiel den sagenhaften „Wonderbra“, der aus jeder Frau ein „Wonderwoman“ macht. Wieso wird der eigentlich nicht von Manufactum vertrieben? Das ist doch eine Schlamperei. Nun ist ein Kaufhaus in die Bresche gesprungen. Eine kostenlose Broschüre von „Galeria Kaufhof „, die in meinem Briefkasten lag, klärt umfassend über diese fortgeschrittene Brustpräsentationsmethode auf. Die Technik besteht aus Anheben und / oder Zusammendrücken. Dadurch entsteht eine vollkommen künstliche Linie, die nach oben im Extremfall in einem „V“ ausläuft. Wenn das kein Hingucker ist.

Umgekehrtes "V". Natürliches Dekolleté

Und das nennt man dann Dekolleté, zu deutsch Ausschnitt. Für den Ort zwischen den Brüsten haben die Engländer einen Begriff gefunden: Sie nennen das cleavage.  Entscheidend für die erotische Wirkung – man könnte auch sagen die visuelle Kommunikation –  ist diese Körpergrafik des Dekolletés, die durch den mehr oder weniger großen Ausschnitt sichtbar wird. Hier kommt es zur Cleavage-Linie und manchmal zum erwähnten künstlichen „V“. Während sich bei natürlich fallenden weiblichen Brüsten ja eher ein umgekehrtes V“ bildet. Dass es sich geradezu um eine Ikone der westlichen Kultur handelt, wird wohl niemand bestreiten. Immerhin wird hier, Einstein läßt grüßen, den Gesetzen der Physik mal eben so ein Schnippchen geschlagen. Allerdings gibt es auch historische Vorläufer, zum Beispiel das bayrische Dirndl.

"Wissenschaft von der Dekolletage". Um 1900.

Schon vor 100 Jahren schrieb der Kulturforscher Eduard Fuchs (Illustrierte Sittengeschichte, Dritter Band: Das bürgerliche Zeitalter, München 1912): „Längst gibt es eine Wissenschaft der Dekolletage, die für jede Form des Busens die günstigsten Möglichkeiten ausgeklügelt hat. Eine Frau, die nur über Vorzüge verfügt, wählt die Dekolletage ‚en coeur‘, hier steigt die Korsage nicht viel mehrals zwei Handbreiten über die Taille empor und besteht sonst nur in Achselbändern, die aber bei jeder Bewegung über die Schultern herabgleiten. Wer nur über schön fallende Schultern verfügt, wählt eine sogenannte ‚runde Dekolletage‘, dabei kann man auch einen flachen Busen haben. Wer einen schönen Rücken hat und diesen zeigen will, wählt eine nach vornen und hinten spitz aqusgeschnittene Korsage usw. Dementsprechend entwickelt sind auch die Künste, jede Möglichkeit des gewählten Kleidungsausschnittes auszunutzen.“

Westliches Busenhightech (Quelle Galeria Kaufhof)

Und wie war das eigentlich mit dem „Be-Ha“? Seine Technik wurde eindeutig im deutschen Kaiserreich entwickelt: Der erste „Büstenhalter“ wurde 1889 von der Dresdnerin Christine Hardt patentiert. Im selben Jahr meldete die Französin Herminie Cadolle ebenfalls ein Patent auf das neuartige Kleidungsstpück an. Ein gewisser Hugo Schindler folgte 1891 mit einer weiteren patentierfähigen Technik: zwei an einem Gürtel befestigte Kappen, die oben mit Bändern befestigt wurden. Der schwäbische Korsettmacher Wilhelm Meyer-Ilschen aus Cannstatt nahe Stuttgart entwickelte 1904 seine „Bruststütze ohne Unterteil“, später ebenfalls patentiert. Sein Schwiegervater Sigmund Lindauer ließ 1912 – also vor einhundert Jahren – den ersten Büstenhalter in Serienfertigung gehen (Marke „Prima Donna“). Er bekam ein kaiserliches Patent auf den ersten BH ohne Längs- und Querstützen. Lindauers „Hautana“ war ein internationaler Verkaufserfolg. Weltweit folgte eine Vielzahl weiterer Patentierungen. In den USA hatte Mary Phelps-Jacob vor dem Ersten Weltkrieg einen Ersatz für das Mieder erfunden: Aus zwei Tüchern und einigen Bändern fertigte sie ein Wäschestück, um ihre Brüste zu bedecken. 1914, die Europäer waren gerade mit anderen Dingen beschäftigt, ließ sie diese Erfindung schützen und verkaufte das Patent anschließend an die Warner Brothers Corset Company. Seitdem gilt sie als Erfinderin des BH. Wobei anerkannt werden muss, dass der BH in den USA nie gekannte Höhenflügen erlebte.

Präsentationstechnik im 19. Jahrhundert. Zeichnung Felicien Rops (Ausschnitt)

Wie alle Kleidungsstile durchlief das Dekolleté und der BH, durch den das magische „V“ erst möglich wird, verschiedene Moden: Dies war schon im 19. Jahrhundert so (was hier übersprungen wird), aber dann auch im letzten dem 20.: knabenhaft-flach in den Zwanzigerjahren, rund und füllig in den Dreißigerjahren, spitz und gefährlich in den Fünfzigern, der gar nicht heimlichen und  wortwörtlich zu nehmenden ewigen Hochzeit des Brust-Skulpturalismus und der Dekolleté-Grafik.

"Lollo"

Wobei meine BH-Favoritin natürlich Gina Lollobrigida ist. Wer denn sonst?

bp

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