Heute brachte mir ein Kurier die Autobiografie Henry van de Veldes. Titel: Geschichte meines Lebens, erschienen 1962 im Piper-Verlag in München. Die immerhin 546 Seiten kosteten antiquarisch gerade mal 16 Euro. Ein schönes Buch in goldgelbem Leinen mit eingeprägtem Muster. „Jugenstil“ würde man sagen, ein Begriffsstempel, den van de Velde auf seinem Leben nicht haben wollte. Dann stieß ich auf folgende Passage, die mich stutzen ließ: „Die Gesetze der Linie hatten sich mir noch nicht enthüllt“, heißt es da.
Und weiter: „Ihre Ausdrucksgewalt faszinierte mich derart, daß sie mich für Jahre von der Erkenntnis des wahren Begriffs der Linie zurückhielt. Ich gab mich meinem Dämon hin und trug den Ausdruck bis zum Äußersten; die Konsequenzen erwiesen sich als unheilvoll bis zur Schwelle zum neuen Barock. Auch als ich die Malerei aufgegeben hatte, verließ mich mein Dämon nicht, und als ich meine ersten Ornamente schuf, fühlte ich mich ihm stets ausgeliefert.
Der Drang und die Neigung, mich am Meeresstrand zu ergehen, um zu erhaschen, was das Spiel der Wellen an linearen Arabesken auf dem Strand zurückließ, blieb unstillbar. Der gleiche Trieb hatte mich früher in die Dünen geführt, um vergängliche, abstrakte, launenhafte und raffinierte Ornamente zu entdecken, die die Winde in den Sand gezeichnet hatten.“ Die Flut und die Ebbe nicht zu vergessen! Auch sie befriedigen die Lust an an der oft so überraschenden Schönheit des Vergänglichen. bp