Was ist ein Designer? Ein Traumberuf für Jugendliche, der spätestens seit den 80er Jahren knapp hinter Model, Popstar und Künstler rangiert. Mancher Erwachsene hält ihn aber nur für einen geschickten Feuerwerker, einer, der immer neue Formen und Effekte kreiert, um uns zu blenden. Für andere ist er dagegen ein Weltverbesserer, der durch geniale Lösungen unser Leben perfektioniert. Wie auch immer. Seit über zehn Jahren habe ich mich intensiv mit dieser ziemlich jungen, aber trotzdem schon legenden- umwobenen Berufssparte beschäftigen dürfen.
Bereits in meinem ersten Buch zum Thema, dem Designlexikon Skandinavien, spielten Biografien eine zentrale Rolle. Die Idee war, die Porträts schöpfer- ischer Persönlichkeiten und die Designkultur innovativer Unternehmen miteinander zu verknüpfen. Ich hatte damals das Glück, im Zuge der Recherche neben zahlreichen jungen Designern auch noch einige der Pioniere der Zweiten Moderne treffen zu können, etwa Antti Nurmesniemi (1927-2003) und Hans Wegner (1914-2007). Etwa 50 Kurzporträts sind im Lexikon zu finden, darunter auch die von Josef Frank und Poul Henningsen, zwei Protagonisten der Ersten Moderne. Obwohl sie zweifellos zu den Großen ihres Faches zählen – Frank als Kritiker des Purismus und Vorreiter des Organischen, Henningsen als Lichtkonstrukteur und kulturkritischer Geist -, blieben sie außerhalb von Fachkreisen jedoch so gut wie unbekannt. In Schulbüchern kommen sie ohnehin nicht vor. Sie sind nicht Teil des Bildungskanons. Immerhin liefert nun Wikipedia ein paar Hinweise.
In den sich anschließenden Büchern zum Designthema habe ich dann ein paar hundert Lebensläufe verfasst. Schließlich folgten zwei umfassend angelegte Werkbiografien: 2008 Peter Maly (geb. 1936 in der Tschechoslowakei) und, gerade erschienen, Peter Ghyczy (geb. 1940 in Ungarn), ebenfalls zwei Pioniere: Maly war hierzulande einer der ersten Artdirektoren, Ghyczy einer der ersten Chefdesigner. Es gab also genug Gelegenheit, diese Personengruppe kennenzu- lernen. Ich weiß nun etwa, wie schlecht der Zusammenhang von persönlichem Lebensweg und dem jeweiligen Werk in aller Regel dokumentiert ist. Einer der interessantesten Aspekte des Designs, nämlich die enge, aber alles andere als unkomplizierte Beziehung von Biografie und kreativer Leistung, bleibt so zu großen Teilen ausgeblendet.
Dabei ist die Frage, wie sich schöpferische Persönlich- keiten entwickeln, gerade heute, mitten in der Dritten Moderne, nicht gerade nebensächlich. Warum wird so getan, als sei Innovation didaktisch steuerbar? Für Walter Gropius, den Bauhaus-Gründer, stand fest, dass man Kreativität nicht lehren kann. Hans Gugelot, der Spiritus-rector des Braun-Designs, sah das genauso. Wenn dem so ist, kommen eben Aspekte wie Persönlichkeit, Milieu, Zeitgeist und Erfahrung ins Spiel. Kein Wunder: In der Regel blühen die radikalen Neuerungen im Design im Kontext einer Subkultur, die kontroverse Visionen liefert und und die ihr Schub gibt. Nur ein Beispiel: Ohne die Jazz-Szene der Nachkriegszeit, die in Frankfurt eine ihrer Hochburgen hatte, hätte es das Braun-Projekt in dieser Form nie gegeben. Das Kunststück bestand dann natürlich darin, die Kommunikation zwischen Visionären und Technikern zu stiften. So entsteht eine Designkultur. Warum werden solche Zusammenhänge derart vernachlässigt?
Exemplarisch dafür waren die Erfahrungen bei der Arbeit an meinem Buch über das Braun-Design. Letztlich war nur ein einziger der zahlreichen von mir interviewten Braun-Designer, nämlich Dieter Rams, die Gallionsfigur der Firma, vorher jemals umfassend über sein Schaffen befragt worden. Der jahrzehntelange Personenkult hat das Wissen über die kulturellen Wurzeln der Designrevolution der 50er Jahre längst überlagert. Auch bei meinem letzten Buch über bauhaus design musste ich zu einem ähnlich enttäuschenden Befund kommen. Eine systematische Darstellung des biografischen Hintergrundes der berühmten Kreativschmiede – geschweige denn unter konkretem Bezug auf das Produktdesign – existierte bislang nicht (und konnte natürlich auch von mir nur ansatzweise geleistet werden). Dass etwa Marianne Brandt in ihrer Jugend nicht nur mit der lebendigen Kulturszene ihrer Heimatstadt Chemnitz eng vertraut war, sondern am Bauhaus auch zur Fraktion der „Wandervögel“ gehörte, wird meines Wissens nirgends berücksichtigt, um nur ein Beispiel zu nennen. Über diese Protagonistin des Produktdesigns, deren Ruhm freilich erst posthum einsetzte, gibt es keine Biografie, die ihren kreativen Leistungen und der Brisanz ihres Lebens adäquat wäre. Das hat Methode. Denn hier spielen Kulturgeschichte und Fragen des Menschenbildes hinein, denen mit gewissenhaftem Fliegenbeinzählen allein nicht beizukommen ist.
Der beklagenswerte Zustand dieses Genres ist aber auch durch den schwierigen Gegenstand bedingt: die zwiespältige Rolle dieses Berufsstandes, etwa seiner chronischen Hängepartie zwischen dem Freiheitsversprechen der kulturellen Moderne und den Sachzwängen der Industrie. Die Entwicklung des Industriedesigns ist ohne die Verquickung mit der modernen Malerei um 1900 nicht denkbar. Das Bauhaus war der Boden, auf dem die damit verbundenen Kämpfe exemplarisch ausgetragen wurden. Der Designer trägt die Antagonismen des Kapitalismus wie eh und je in sich. Deshalb trauen ihm viele alles zu und nicht weniger halten ihn für einen professionellen Scharlatan. Auch wenn die Aufgaben mittlerweile in akademische Kanninchenställe aufgeteilt wurden, lebt er de facto weiter im schillernden Zwischenreich von Kultur und Industrie, noch mehrfach gebrochen durch die Mächte des Marktes und der Medien.
Diese nicht auflösbaren und im besten Falle inspirierenden Gegensätze sind ein Grund für die Buntheit des Berufsbildes, das zwischen den Extremen des Designerfürsten und dem Formarbeiter changiert – hier Selbstdarsteller a la Raymond Loewy, Luigi Colani oder Karim Rashid, dort der graue Designangestellte. Dazwischen eine Fülle von Mischexistenzen, die alle eins gemeinsam haben. Um erfolgreich zu sein, müssen sie beides: die Dinge dekonstruieren und zugleich perfektionieren. Ein Verdacht drängt sich auf: Dass so viele Quereinsteiger in diesem Metier erfolgreich waren, ist dem Balanceakt geschuldet, der hier gefordert wird. Auch die bedeutende Rolle, die Migranten im Design zahlreicher Länder gespielt haben, ist ein deutliches Indiz für das Zwittertum. Dass Lebensläufe mit Brüchen und Spitzkehren keine Seltenheit sind, ist kein Zufall. Auf formweh werden in loser Abfolge spannende Designerbiografien vorgestellt .. bp
wie machen wir das?