Renault R16 – War es eine Limousine, ein Kombi oder der eigentliche Vorläufer der Kompaktklasse? Der R 16 – vor 45 Jahren eingeführt und 15 Jahre erfolgreich – war alles zusammen, und obendrein auch ein Familien- und ein Geschäftswagen. Das erste französische Modell, das zu Europas »Auto des Jahres« gewählt wurde, nahm bereits die heutigen sogenannten Crossover-Konzepte vorweg, die keinem traditionellen Autotyp mehr eindeutig zuzuordnen sind.
Das schräg abgeschnittene Heck, wie man es beim Mini und beim R 4 schon im Kleinen gesehen hatte, bedeutete – ähnlich wie die Flachdachvillen in der Architektur der 20er-Jahre – einen Tabubruch in der Komfortklasse, die noch lange von der klassischen Limousine beherrscht wurde. Eben diesen machte Renault zu seinem Markenzeichen. Was mit dem Schlichtauto R 4 begonnen hatte, wurde hier auf hohem ästhetischen Niveau fortgesetzt. Phillippe Charbonneaux, einer der erfolgreichsten frühen Produktdesigner des Landes, gelang mit dieser Mittelklasse-Limousine ein großer Wurf. Wie Claus Luthe in Deutschland, der zwei Jahre später mit dem NSU Ro 80 ein neues Paradigma einführen sollte, gelang Charbonneaux die Kombination von Zweckmäßigkeit und Anmut. Das Auto besitzt eine lebhafte Oberfl äche, seine Linienführung ist alles andere als langweilig. Es verbindet Sachlichkeit mit Dynamik. Der R 16 ging hervor aus einer prosperierenden Ära, in der Frankreich noch nicht von der 68er-Revolte erschüttert war: ein Wagen für die aufstrebende Mittelklasse, die keine Zweifel, aber auch keine Behäbigkeit wollte. Es war die Zeit, in der Jean-Paul Belmondo und Alain Delon, nun über 30, keine zornigen jungen Männer der Nouvelle Vague mehr waren und andere, aufwendigere Abenteuer suchten. Den R 16 fuhren vollbärtige Väter mit Vorliebe für Gitanes-Zigaretten, denn der Wagen war zwar kein spießiger Kombi, aber fast so praktisch. Das Erfolgsmodell wurde fast zwei Millionen Mal verkauft. Seine Bauweise mit Frontantrieb und chrägheck wurde später in der Kompaktklasse zum Standard. Ein Extra, das den Renault R 16 auszeichnete, jedoch an keinem Detail festzumachen war, ist seine Nonchalance, sein französischer Chic. Er hatte Eleganz, er war eine aparte Schönheit wie Catherine Deneuve, die ebenfalls gerade ihre Karriere begann. Wie Pierre Cardin die große Mode mit seinen Prêtà- Porter-Kollektionen popularisierte, brachte Renault den Avantgardismus unters Volk. Der sogenannte »Vogelschnabel«-Grill wurde zu einem Element einer Formensprache, die später der Designstratege Patrick le Quément aufgriff, um so die Identität der Marke zu stärken.
Aus: Bernd Polster und Phil Patton, Autodesign International, Köln 2010