Bauhausrausch

Lazlo Moholy-Nagy: Künstler, Bauhaus-Lehrer und Kommunist. Zeichnung © formweh

Neulich wurde in einem dieser überaus amüsanten täglichen Quizsendungen auf einem Kulturkanal, dessen Namen ich vergessen habe, einem Prominenten, dessen Namen ich auch vergessen habe, folgende Frage stellt: „Welches ist der wirkungsvollste und erfolgreichste Exportartikel deutscher Kultur des 20. Jahrhunderts“? ¹  Dafür sollte es glaube ich 20.000 Euro geben. Doch unfassbar! Der Prominente, sonst für seine Schlagferigkeit bekannt, musste passen. Das deutsche Bier, obwohl ebenfalls UNESCO-Weltkulturerbe, war es jedenfalls nicht. Die richtige Antwort hätte natürlich gelautet: das Bauhaus! Wie konnte soetwas passieren? Doch nun wird diese eklatante Bildungslücke geschlossen – und zwar mit aller deutschen Gründlichkeit ..

Wer gewohnt ist, das Gras wachsen hören, dem raunt es dieser Tage aus jedem zweiten Halm entgegen: „Bauhaus! Bauhaus!“ Sodass etlichge Kulturschaffende schon akut tinitusgefährdet sein sollen. Das ist aber nicht die Hauptgefahr. Tatsächlich handelt es es sich um einen veritablen Bauhausrausch, der inzwischen in die tiefste Provinz hinein seine verheerende Wirkung zeigt. Widerstand ist zwecklos. Denn selbst in den kleinsten Verlags- und Museumsstuben wird in der causa Bauhaus unablässig geackert und gesät. Bücher und Ausstellungen in bedenklichem Umfang rollen unaufhaltsam auf uns zu. Mancher spricht bereits von einem sich anbahnenden Bauhaustsunami von nie dagewesenen Ausmaßen ..

Das Ganze ist ein Politikum: Auf Empfehlung des Landwirtschaftsministers gerade ernsthaft überlegt wird, den Restbestand der Blattläuse und anderer noch übrig gebliebener Insekten – die für die Verbreitung verantwortlich sein könnten – vorsorglich zu vernichten. Pflanzenschützer haben ihre Tanks bereits randvoll gefüllt. An Sprachschutzmitteln herrscht allerdings akuter Mangel. Dabei ist die bedrohliche Bewusstseinsendemie allgemein bekannt. Sie scheint (mindestens) in einem Rhythmus von zehn Jahren zu grassieren. Das letzte Mal – anno 2009, das Bauhaus wurde 90 – war auch ich davon befallen. Mein Buch „bauhaus design“, damals erschienen, ist der schlagende Beweis. Nun spüre ich schon wieder deutliche Symptome im Kopf und anderen Extremitäten. Zwar wäre es übertrieben, von einer Volkskrankheit zu sprechen. Dazu ist das Bauhaus zu unbekannt (im Gegensatz zum gleichnamigen Baumarkt). Deshalb darf man es jedoch keineswegs unterschätzen. Denn das 100-jährige Jubiläum steht vor der Tür. Myriaden westsibirischer Internethobbits sollen schon emsig dabei sein, sich passende Fakenews auszudenken. Wo es doch schon so viele gibt ..   bp

¹ modellbauhaus (Katalog), Hrsg. Bauhaus-Archiv Berlin u.a., Ostfildern 2009

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