Von der letzten Spielwarenmesse habe ich eine Trophäe mit nach Hause gebracht: das Kugelspiel Fortuna – das ich kurz vor Messeschluss für meine Kinder gegen mein Bauhaus-Buch eingetauscht habe. Ein tolles Schnäppchen! Das manuelle Tischspiel, das 1926 in den finnischen Wäldern erfunden wurde, hat die Form eines Flippers und funktioniert auch im Prinzip genauso. Ein Archetyp!
Mit einem kleinen Holzstab werden Metallkugeln angestoßen, die dann auf der abschüssigen Fläche solange zwischen Nägelspalieren hin und her trudeln, bis sie in einem Zahlenloch oder Nagelgehege gefangen werden – oder eben auch nicht. Am Ende werden die Punkte zusammengezählt. Das klingt einfacher als es ist. Die Kinder, 8 und 12 Jahre alt, waren übrigens von Fortuna, anfangs wenig begeistert. Kein Monitor und keine Druckknöpfe. Und dann auch noch kleine Kinder auf der Verpackung! Doch diese anfängliche Abschreckung, die um ein Haar zum unwiderruflichen Stigma geführt hätte, hat sich beim Spielen ins Gegenteil verkehrt. Achtung! Fortuna macht süchtig!
Der Knackpunkt liegt in der Feinmotorik. Man muss ein Händchen haben. Sprich: viel Gefühl im Arm und vor allem im Handgelenk. Denn zwischen einem zu schwachen und einem zu starken Stoß, die meist beide auf eine Nullrunde hinauslaufen, ist nur eine winzige Spanne. Genau diesen klitzekleinen Grad zwischen Zu-wenig und Zu-viel gilt es zu treffen und zu beherrschen. Fast wie beim Seiltanz. Nur dass man sich beim Abstürzen nicht weh tut. Über das dafür nötige Feingefühl scheint mein 12-jähriger Sohn offensichtlich weit mehr zu verfügen als ich. Jedenfalls schraubte er den Hausrekord bald auf über 600 Punkte, während ich bei 500 hängen blieb. Auch die achtjährige Emily hat mich schließlich eingeholt.
Der Spaß von Fortuna liegt in der Abwechslung von aktivem Stoß und passivem Zuschauen, wie die Kugel schicksalhaft auf ihr ungewisses Ziel zukullert. Und dann folgt am Ende jedes Stoßes jedesmal eine kleine Gefühlsaufwallung. Es ist also einiges los bei diesem harmlosen Spiel. Auch das Verhältnis zwischen Freude an der eigene Leistung und purem Zufall scheint mir bei diesem Archetyp des Flippers in guter Balance zu sein. Man kann stolz auf sich sein. Aber wer verliert, muss nicht allzu enttäuscht sein. Dafür sorgt das ausgetüftelte Nagellabyrinth. Da freut sich der Pädagoge.
Das Spiel, seit über 80 Jahren im Handel (ich habe eine Jubiläumsversion!), wird von der Firma Oy Juho Jussila hergestellt, und zwar im mittelfinnischen Jyväskylä, immerhin die Heimatstadt von Alvar Aalto, Finnlands weltberühmten Architekten, der für seine Sperrholzmöbel berühmt wurde. Womit der direkte Bezug zu Fortuna hergestellt wäre, das ebenfalls aus diesem Material besteht, das in der Geschichte der modernen Möbel- und Produktgestaltung eine so große Rolle spielte. Die historische und stilistische Zuordnung von Fortuna zur ersten Moderne des frühen 20. Jahrhunderts drängt sich auf. Es handelt sich unübersehbar um ein sachliches, minimalistisches Spielzeug, das einfach nicht unmodern wird. Damals wurden ja aus dem Drang nach dem Wesentlichen so einige Dauerbrenner kreiert. Spung in die dritte Moderne unserer Tage: Gratulation, nun wurde Fortuna auch auf dem i-Phone verwurstet. Was natürlich alle sinnlichen Vorteile des ursprünglichen Spiels entbehrt (feines Händchen!), aber dem Hersteller ein paar Vorteile brachte. Und das ist ihm und dem Originalspiel zu gönnen! Warum Fortuna angeblich auf das Alter von 6 bis 10 beschränkt ist, ist mir allerdings schleierhaft. bp